Eine kalifornische Ikone in Kleinmachnow
Mit der Triesch Residence importierte ein deutscher Möbelhändler ein Stück amerikanische Architekturgeschichte in einen beschaulichen Vorort von Berlin. Den Entwurf dazu lieferte Ray Kappe, der südkalifornische Erneuerer der Moderne.
Ich nehme die Besucher des Hauses mit auf eine Sequenz, die an einem tiefen Punkt beginnt, dann folgt ein Aufstieg und schließlich mündet sie in einer Art räumlichen Explosion“, beschrieb der kalifornische Architekt Ray Kappe einst eines der bedeutendsten Wohnhäuser in Südkalifornien, die Kappe Residence. Das Haus entstand zwischen 1965 und 1967 an einem Hang in Pacific Palisades, Los Angeles, als privates Domizil des Architekten. Er verschränkte die Wohnhaustypologie der kalifornischen Moderne, die Jahrzehnte zuvor von Architekten wie Rudolph Schindler und Richard Neutra geprägt wurde, mit einer starken Naturverbundenheit. Das unter Denkmalschutz gestellte Meisterwerk aus Glas und Redwood, dem Holz des Mammutbaumes, wurde für Kappe zum „Prototypen für Häuser in schwieriger Lage“.
Inspiration Kappe Residence
Dass ein Ableger dieser südkalifornischen Ikone heute im beschaulichen Kleinmachnow, am südwestlichen Rand von Berlin, steht, ist einem Sammler und Händler von Design-Möbeln zu verdanken, der seinen Wohntraum in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Der Mid-Century-Experte Lars Triesch war gemeinsam mit seiner Frau gerade auf der Suche nach einer neuen Wohnalternative für seine wachsende Familie, als sie in der Dokumentation “Coast Modern“ auf Kappes Haus stießen.
Kappes Haus ist eine Architektur, die auch mit Familie gut funktioniert. Obwohl es zur Moderne zählt, hat es mit dem vielen Holz und dem japanisch Inspirierten eine ausgesprochene Gemütlichkeit.
Lars Triesch, Bauherr und Möbelhändler
„Bei vielen dieser Häuser der Moderne, die sehr aufgeräumt und clean sind, kann man sich nicht recht vorstellen, darin mit Kindern zu leben“, erzählt Triesch. „Kappes Haus allerdings ist eine Architektur, die auch mit Familie gut funktioniert. Obwohl es zur Moderne zählt, hat das Haus mit dem vielen Holz und dem japanisch Inspirierten eine ausgesprochene Gemütlichkeit.“
So kontaktierte er kurzerhand das Büro Kappe Architects in San Rafael, San Francisco, das von Kappes Söhnen Ron und Finn geführt wird. Seine Anfrage: Ob Ray Kappe, der zu dem Zeitpunkt 89 Jahre alt war, ein Einfamilienhaus im Umkreis von Berlin für ihn und seine Familie entwerfen würde? Nach kurzem Mailverkehr kam schließlich die Zusage, und Triesch konnte es anfangs kaum fassen. „Das war einer der aufregendsten Momente meines Lebens.“
Eine glückliche Fügung
Dass es Kleinmachnow geworden ist, sei reiner Zufall gewesen, so Triesch. Während in den meisten Vororten von Berlin ein Satteldach baubehördlich vorgeschrieben war, durfte man in der beschaulichen Gemeinde unweit des Wannsees auch ein Flachdach bauen. Diese Dachform war für Ray Kappes Entwurf entscheidend und eine der Grundvoraussetzungen für die Zusage.
Es fühlt sich gut an, dass wir an die 100 Jahre später an die Geschichte dieses Ortes anknüpfen und Kleinmachnow um ein Stück moderne Architektur erweitern.
Lars Triesch, Bauherr und Möbelhändler
Erst nach dem Grundstückskauf entdeckte der Bauherr, dass der Ort auch mit der Geschichte der modernen Architektur eng verknüpft ist. Neben dem Einfluss von Walter Gropius, der 1919 das Bauhaus in Weimar gegründet hatte, finden sich dort heute noch Wohnbauten von Werner von Walthausen, Hermann Henselmann, Egon Eiermann und Ferdinand Zarth. „Es fühlt sich gut an, dass wir an die 100 Jahre später an die Geschichte dieses Ortes anknüpfen und Kleinmachnow um ein Stück moderne Architektur erweitern“, sagt der Bauherr mit einer gewissen Feierlichkeit.
Bauen wie vor 60 Jahren
Die Triesch Residence ist ein weiteres Kappe-Meisterwerk geworden. Statt im kalifornischen Hain aus Bergahorn und Eukalyptusbäumen ist sie in den Brandenburger Kiefernwald eingebettet. Die typische klare Linienführung findet sich hier ebenso wie das harmonische Zusammenspiel von Glas und rötlichen Hölzern. Lichtdurchflutete, offene Räume, die ineinander überfließen und überraschende Sichtbezüge schaffen. Die räumliche Explosion, die Kappe einst beschrieb, findet sich hier im zentralen Wohnraum mit Atrium und etwas höher gelegener Wohnküche wieder.
Zwischen den zwei aussteifenden Betonkernen ist die Holzkonstruktion maßgenau eingepasst. Die vorgefertigten Holzbauelemente kamen allesamt von der Firma Weissenseer aus Österreich. „Abgesehen davon haben wir das Haus so gebaut, wie man es in den 1960er-Jahren gebaut hat. Es ist ganz viel vor Ort passiert“, erklärt Triesch, der selbst die Bauaufsicht für das Projekt übernommen hat. „Den Innenausbau haben wir sehr Oldschool gemacht, dadurch bekam das Ganze auch eine gewisse Handwerklichkeit.“
Alles aus einem Guss
Besonders abzulesen ist diese Handwerklichkeit an den Möbeln, die zu einem großen Teil Entwürfe von Ray Kappe sind. Dazu zählen Couchtische, Esstische, Einbaumöbel, Badmöbel, Betten und Schränke. Auch die skulpturale Holztreppe mit der Zinkenverbindung gehört dazu. „Da merkt man, wie gut diese Möbel in dem Haus funktionieren“, so Triesch. „Die Solitärmöbel, wie die beiden Womb Chairs, die wir derzeit im Wohnzimmer haben, funktionieren in diesem Setting perfekt.“
Organic Architecture bedeutet eben auch, dass man den Außenraum beim Wohnen miteinbezieht.
Lars Triesch, Bauherr und Möbelhändler
Trieschs Showroom Original in Berlin ist bis unter die Decke voll mit Mid-Century-Möbeln und dazu abgestimmtem zeitgenössischem Design. Im Gegensatz dazu bleibt das Haus durch die vielen Einbaulösungen sehr reduziert. „Ich bin ganz froh, dass ich dadurch im Haus ein wenig Ruhe habe“, sagt Triesch. Im Grunde kann man gar nicht sagen, wo das Haus aufhört und das Mobiliar beginnt. Alles ist aus einem Guss. Alles fließt.
Die Ray Kappe Furniture Line
Die Liebe zu Kappes Möbel ging so weit, dass Triesch eine Auswahl der Entwürfe durch sein Unternehmen Original in Berlin neu aufgelegt hat. Die „Ray Kappe Furniture Line“, darunter das RK4 Sofa und die RK5 Credenza, beides in eiche, wird von Original in Berlin produziert und vertrieben. Durch den aktuellen Japandi-Trend, der nordisches Design mit japanischer Gestaltung verbindet, erfährt dieser reduzierte Stil unter Verwendung von Naturmaterialien gerade ein Revival.
Ray Kappes Möbelentwürfe waren eine organische Weiterentwicklung seiner Architektur und eine Form von Ressourcenverwertung. Er fragte sich, was man aus Restmaterialien von der Baustelle, wie etwa Rahmenholz, machen kann. Das Ergebnis sind funktionale Möbelstücke, die sowohl die minimalistischen Strukturen des kalifornischen Modernismus widerspiegeln, als auch die traditionelle japanische Architektur.
Ein Haus macht auf
Was er in diesem Haus besonders genießt, seit er mit seiner Familie darin wohnt? „Es fühlt sich alles an wie Urlaub“, sagt er. Während Nachbarn und Passanten zum Teil skeptisch auf die offensiv gelebte Transparenz des Hauses reagieren, die nicht durch Rollläden oder Vorhänge relativiert wird, sieht er darin den großen Trumpf dieser Architektur: „Organic Architecture bedeutet eben auch, dass man den Außenraum beim Wohnen miteinbezieht. Es gehört dazu, dass man sieht, wie die Sonne aufgeht. Man schließt sich nicht ein, sondern das Haus macht auf.“
Auch wenn Ray Kappe, der 2019 verstarb, sein erstes und bislang einziges Werk in Europa nicht mehr selbst erleben durfte, so wird es vielleicht nicht das letzte gewesen sein. Seine Söhne Finn und Ron, die das schöpferische Erbe ihres Vaters angetreten haben, können sich durchaus vorstellen, noch weitere Projekte dieser Art umzusetzen.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Jürgen Nogai
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